Ein notwendiger Krankenhaus Aufenthalt bremste meine Betriebsamkeit im Februar. Wegen Knieschmerzen musste ich eine stationäre Infusionstherapie auf mich nehmen.
Befürchtungen, die ich hatte, traten nicht ein. Das Pflegepersonal war ausnehmend freundlich und hilfsbereit.
Obwohl ich sieben Stunden täglich an der langsam tropfende Infusion hängen musste, konnte ich die Tage auch genießen: Ich bekam das Essen serviert, hatte keine Termine, ein interessantes Buch und mein Strickzeug mit dabei. Die Therapie vertrug ich gut und schöpfte Hoffnung, dass mein Knie bald wieder voll funktionstüchtig sein würde. Dankbarkeit stellte sich ein, für die Fürsorge der Pflegenden, für die Ruhe und für unser Gesundheitssystem.
Meine Zimmerkolleginnen, beide um die 80 waren schlechter dran. Frau S. wartete auf einen Termin in einem anderen Krankenhaus. Sie sollte eine neue Hüfte bekommen, war schwerhörig und konnte nur mit ihrem Rollator gehen. Frau L. musste eine fatale Diagnose verarbeiten und sich mit dem nahen Ende ihres Lebens auseinandersetzen.
Ich lernte die Tochter von Frau S. kennen und erfuhr, dass sie sie aus China adoptiert hatte und dass die Enkelin in diesen Tagen Geburtstag feierte. Frau S. erzählte viel von ihren beruflichen Stationen, als Beraterin in einem Perückensalon und als Redaktionssekretärin in der APA. Sie vergass ihre missliche Situation, wenn sie erzählte. Ich ermutigte sie durch mein interessiertes Nachfragen und indem ich sie zu einem Kaffeehausbesuch im Erdgeschoss einlud. Ich merkte wie ihr das Erzählen und meine Komplimente für ihre Lebensabenteuer gut taten. Tatsächlich fand ich es bewundernswert, wie sie ihr Leben gemeistert hatte. Mir fiel Cem Ekzemcioglu ein, Mediziner, der die positive physiologische Wirkung der Dankbarkeit herausgearbeitet hat. Immer wenn wir dankbar sind, wenn wir auch die positiven Aspekte einer auf den ersten Blick misslichen Situation erkennen können, entspannen wir uns. Das tut auch unseren inneren Organen, Herz Leber und Lunge gut. Wir schöpfen Kraft und neue Ideen für kommende Herausforderungen.
Frau L. hingegen litt stark an Übelkeit und Schmerzen. Das Essen schmeckte gar nicht. Diesen Zustand wolle sie nicht verlängern, das hat gar keinen Sinn, sagte sie immer wieder. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie erzählte viel von ihren Kindern, zwei Töchtern und zwei Söhnen. Einer der Söhne, ein preisgekrönter Forscher im Bereich der Biotechnologie, der andere mit eigener Firma. Die Töchter hatten pädagogische Berufe ergriffen. Im Erzählen rief sie sich immer wieder in Erinnerung, wie reich ihre Leben war. Reich an Beziehungen und an Schönem, das sie mit ihrem Mann erleben durfte, der vor drei Jahren verstorben war. Einer der erwachsenen Enkelsöhne schickte eine liebevolle Karte aus Barcelona. Er freue sich darauf, die Oma bald zu besuchen. Die Töchter recherchierten, ob es in der Nähe ihres Wohnortes ein Hospiz gäbe, in dem sie nach dem Krankenhausaufenthalt einen Platz finden würde. Trotz aller Trauer und Schmerzen drückte Frau L. auch Dankbarkeit aus für die Liebe und Fürsorge, die sie von ihrer Familie erfahren durfte.
Nach fünf Tagen durfte ich nach Hause. Wir tauschten unsere Kontakte aus, ich freue mich auf Nachricht von den beiden. Die Gespräche mit den beiden Frauen zeigte mir wieder einmal wie heilsam das Erzählen ist. Ich hörte ihnen gerne zu und würdigte Ihre biographischen Erzählungen. „Die Erinnerungen sind das einzige Paradies aus dem uns niemand vertreiben kann“, fiel mir das bekannte Zitat von Jean Paul ein.
Erinnerungen ermöglichen es uns, auch schwierige Zeiten zu überstehen, weil wir durch die Erinnerung guten Gefühle wie Freude, Liebe und Dankbarkeit aus der Vergangenheit wieder lebendig werden lassen und die gegenwärtige Situation leichter annehmen können.